Am 19. März 2024 war es soweit: meine Teilnahme am Adipositasprogramm am Klinikum St. Georg ist vorbei. Aber wie geht es weiter? Was bedeutet das eigentlich: zu Ende? Und wieso war es erfolgreich, wenn ich am Ende doch wieder 40 Kilo zugenommen habe? Auf diese Fragen will ich in diesem Beitrag Antworten finden und allen Mut zu sprechen, die adipös sind und daran etwas ändern wollen.
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Was bedeutet das eigentlich: Adipositasprogramm ist zu Ende?
Das bedeutet, dass ich es geschafft habe. Die letzten zwei Jahre haben sich ja nicht mehr so richtig „klinisch“ angefühlt, und dennoch war ich noch unter jährlicher Kontrolle. Als Patient bin ich jetzt quasi entlassen und stehe allein auf meinen beiden Beinen, habe Wissen und Erfahrung gesammelt. Ich habe Erfolge im Adipositasprogramm gefeiert, aber auch immer wieder Rückschläge verbuchen müssen. Adipositas wirksam bekämpfen ist mehr eine immer währende Achterbahn.
Im letzten Termin wurde einerseits geschaut, wie es seit dem vorherigen Kontrolltermin so gelaufen ist. Überraschung: weniger blöd. Die Gewichtszunahme war mit knapp 12 Kilo in den letzten 12 Monaten geringer, als in denen zuvor. Von 2022 bis 2023 waren es 16 Kilo, die wieder auf die Waage gekommen sind. Zeitgleich haben wir nochmal Optionen angeschaut und absolute Grenzen besprochen. Meine absolute Grenze ist eine weitere Gewichtszunahme.
Wie bewerte ich das Ergebnis: erfolgreich zugenommen!
Um den Erfolg des Programms zu betrachten, braucht es mehrere Blickwinkel. Auch, wenn ich das niedrige Gewicht nach 12 Monaten Abnahme von 95 Kilo nicht gehalten habe, so liege ich mit meinem aktuellen Gewicht von 143 Kilo bei einer Abnahme von 25%. Diese Quote ist gut und gilt als erfolgreiche Gewichtsreduktion. Gleiches gilt im Vergleich auch bei anderen Maßnahmen, wie einer Magenverkleinerung. Auch hier nehmen viele über einen längeren Zeitraum wieder zu und pegeln sich irgendwo ein.
Mein eigenes Abnehmziel 2018 waren 40 Kilo. Ich wollte gern eine 3XL tragen und darüber muss ich heute schmunzeln. Ich hätte nie gedacht, dass aus diesem Ziel einmal das Erlebnis wird, in eine L Slim fit zu passen, auch, wenn ich mich heute so circa in einer 2XL wiederfinde. Abnehmziel erreicht, würde ich sagen!
Für mich ist der größte Erfolg, dass ich Strategien kenne und weiß, dass ich den Kampf gegen das Übergewicht führen muss und kann. Ich habe verstanden, dass Adipositas eben nicht Faulheit und Essen im Überfluss sind, sondern eine komplexen Erkrankung ist. Dabei gibt es viele Parallelen zu Suchterkrankungen. Ich habe auch verstanden, dass Essen ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Abnahme ist. Nur der Rahmen muss gesetzt und kontrolliert sein.
Ich habe verschiedene Signale meines Körpers kennengelernt und kann jetzt eher reagieren. Trotzdem ist die wichtigste Erkenntnis, dass Erfolg nicht die niedrigste Zahl auf der Waage ist. Mich wird mein Gewicht mein gesamtes Leben lang beschäftigen und ich muss konsequent Routinen üben und halten, um gesund zu bleiben: Wiegen, Ernährungsplanung, Sport. Diese Erkenntnis fühlt sich aktuell aber nicht wie ein toller Erfolg an. Sie ist mehr wie eine bittere Wahrheit.
Wer hat Schuld, dass ich letztlich ein Adipositasprogramm brauchte?
Unweigerlich bringt mich das zur Frage, wer eigentlich Schuld daran hat, dass ich adipös geworden bin. Die Antwort: ich und die anderen. Die anderen? Wer sind denn die anderen? Das lässt sich nicht leicht beantworten und es soll auch keine Schuldzuweisung an Personen sein. Es ist mehr eine Art gemeinsame Verantwortung.
Die Bandbreite reicht in der Familie von Oma, die dem Jungen einfach den Teller nochmal vollgemacht hat. Die Großtante, die im Krieg ihre Geschwister versorgt hat und nie wieder wollte, dass irgendjemand jemals diesen Hunger spüren soll. Der Schulsport, der mich massiv frustriert hat, obwohl ich trotzdem dankbar bin, dass meine Sportlehrer mich irgendwie versucht haben, zu motivieren: Kugelstoßen, Volleyball-AG und Fleißnoten haben mich durch den Unterricht gerettet. Das Umfeld, Ernährungsindustrie und am Ende auch genetische Veranlagung, aber ja, allen voran bin ich für mich verantwortlich.
Wie geht es nach dem Adipositasprogramm weiter?
Wie es weiter geht, liegt an mir und den anderen. Denn ich werde auch in meinem Umfeld Menschen um Hilfe bitten müssen, Freunde fragen, einen Teil der Verantwortung für mich mit zu übernehmen. Dazu habe ich mal ein paar Punkte notiert, was andere und ich gemeinsam tun können:
- Süßigkeiten nicht an Geschenke baumeln oder zu gemeinsamen Aktivitäten, wie Spieleabenden mitbringen
- Restaurants, Cafés nur besuchen, wenn es in meinen Ernährungsplan passt
- Spaziergänge und gemeinsame Aktivitäten planen, die nicht im Sitzen stattfinden
- meine Bedürfnisse und aktuelle Regeln klar kommunizieren
- den von mir bestellten Salat nicht kommentieren
Für mich ist der Fokus insgesamt klar. Prepmymeal läuft gut an. Damit fühle ich mich sicher und gesund. Das hat unter anderem auch die letzte BIA-Messung im Abschlusstermin gezeigt. Mit dem Fitti habe ich aktuell enorme Probleme. Es setzt mich massiv unter Druck hinzugehen. Hier habe ich auch noch keine Idee, wie ich das ändern kann.
Medizinisch ist es einfacher zu betrachten, wie es nach dem Adipositasprogramm weiter geht. Nehme ich weiter zu, dann bestehen mehrere Optionen: Gesundheitsapps von der Kasse finanziert, Spritzen (Semaglutid), Magenverkleinerung oder nochmal eine Runde Magenballon. Letzteres ist meine Präferenz. Zu guter Letzt ist eine wichtige Sicherheitslinie, dass ich jederzeit in der Ambulanz anrufen kann, wenn es völlig eskaliert.
Mein ultimativer Tipp zum Adipositasprogramm
Mach es einfach! Egal, wo man nach sechs Jahren landet. Du machst es für dich. Du lernst und übst wichtige Dinge zum Thema Übergewicht, Bewegung und Ernährung. Du lernst andere Menschen kennen und kannst Erfolge erleben. Mit Blick auf die Angebotspalette gibt es mittlerweile viele Kliniken, die spezielle Programme haben. Ich kann aber nur betonen: die konservative Herangehensweise im Adipositasprogramm des Klinikums St. Georg in Leipzig kostet Kraft und Überwindung. Aber das engagierte Team in der Ambulanz leiten alle Patient*innen mit Geduld, Humor und Ehrlichkeit durch das Programm.